Was passierte zwischen Calzadilla de los Hermanillos und Reliegos?
Die lange einsame Strecke erschien anfangs harmlos, danach interessant und dann spannend. Sie war tatsaechlich ganz schoen lang. Ausserdem stach die Sonne im Laufe der Zeit, man muss aufpassen, dass man klar bleibt. Aber so langweilig, wie im Buch beschrieben, war sie wahrlich nicht. Ganz im Gegenteil: Es geschah einiges. Oder besser gesagt, ich habe viel gesehen, an dem wohl die anderen Pilger ausnahmslos vorbei gingen. Ich erzaehle es Euch nun. Also: Dieser Abschnitt hat es in sich, man muss nur ganz genau hinsehen, und es tun sich Dinge auf ... ich sage Euch!
Ja, mit dem Wasser muss man haushalten. Sonst kriegt man Panik und die Hinweise auf der Strasse sind auch keine Garantie ...
und dann hat man kein Wasser mehr ... und dann brennt die Sonne ... und dann ...
dann traeumt man womoeglich von Wasserstellen
oder von solchen Brunnen ...
oder von verdursteten Frauen am Wegesrand ...
... aber ich habe immer genug Wasser bei mir und sowas passiert mir nicht so schnell ... oder? Oh meine Flaschen sind leer ... das ist jetzt nicht so witzig, aber so weit ist es ja nicht mehr zur naechsten Herberge.
Und schon erlebe ich schoene Sachen. Da sind zum Beispiel auf dieser Strecke, und sie leben nur hier, die Riesenmaulwuerfe (lupidio subcalzadillos grande, Riesenmaulwurf, der unter der Strasse lebt, oder so), deren Huegel ich neben dem Weg sehe. Sie koennen bis zu 115cm (!) hoch werden und sind eng hintereinander aufgereiht, dann sind wieder gar keine ueber 100m zu sehen und dann wieder ganz viele, wie hier.
Auf einem der Huegel habe ich zufaellig einen kleinen
Vogel erwischt, den lupidicanario grande, (ungefaehr uebersetzt: Der Riesenmaulwurfkanario oder so) der eine eigenartige Lebensgemeinschaft mit den Maulwuerfen eingegangen ist. Er frisst genau und nur die Wuermer aus den Huegeln heraus, die die Maulwuerfe nicht vertragen, und er selbst lebt davon nicht schlecht.
Aber diese Maulwuerfe haben eine schlechte Angewohnheit (deswegen heissen sie ja auch so), sie leben ausschliesslich unter Wegen und auch Strassen. So sieht das dann aus, man sieht hier ganze Horden von ihnen unter der Oberflaeche.
Sie unterhoehlen sie regelrecht, und so sind denn auch grosse Schaeden entstanden mit Einbruechen und schlimmen Unfaellen. Deshalb hat man, um die Tiere zu erhalten, eine Aktion mit Europamitteln gestartet und ein Reservat geschaffen, wie hier zu sehen, an dem ich gerade vorbei gekommen bin. Dort versucht man, die Tiere unterzubringen.
Aber sie nehmen das Gebiet nicht an, sie gehen immer wieder unter die Strassen und Wege daneben. Deshalb hat man sich zu einem weiteren Projekt entschlossen. Man hat ihnen artgerechte Gaenge, Hoehlen und eigene Eingaenge geschaffen, fuer jede Maulwurfsfamilie einen eigenen.
Die Tiere haben das zunaechst auch angenommen, dann aber in wenigen Wochen verwohnt und schnell wieder verlassen. So ist ihre Zukunft ungewiss und sozusagen im Dunkeln.
Ja, das sind so Erlebnisse in der heissesten Etappe. Aber irgendwie fuehl ich mich nicht mehr so wohl, verschwimmt die Realitaet?¿? Die Gegend wird immer unheimlicher. Die Strasse gefaellt mir nicht mehr.
Die Steine nehmen ueberhand. Ich beschliesse, mit der Bahn weiter zu fahren. Zumal in der Ferne die beruehmte Bahnbruecke von, von, ... ich glaub von San Fernando zu sehen ist.
Ich wuensche mir einen Bahnsteig mit Bahnhof, und schon ist beides vor mir.
Man kann hier zwar keine Fahrkarten kaufen, aber ich werde einfach einsteigen. Oder aufspringen. Ich brauche nur noch zu warten.
Ich warte.
Und warte.
Und warte. Es wurden schliesslich 36 Jahre. Alle Vorraete waren verbraucht. Ich hatte wieder angefangen zu rauchen und drehe mir gerade eine auf dem Foto. Aber es kommt kein Zug. Nix.
Meine Schuhe sind inzwischen kaputt und der Bahnhof ist auch zerfallen.
Aber da kommt EIN ZUG. Ich muss jetzt schnell sein.
War ich auch, ich musste aufspringen, weil er durchfuhr. Es war ein Geisterzug! Und woher sollte ich wissen, dass die links fahren! Mit dem Aufspringen hat auch nicht geklappt.
Vorbei, im Sinne des Wortes. Ich muss zusehen, dass ich jetzt irgendwie anders weiterkomme. Ich reiss mich zusammen, springe durch die Lichtwand - * - # |
bin ploetzlich wieder auf dem normalen Weg
und komme wie geplant im naechsten Ort an und -
sehe wieder Menschen (nur aus der falschen Zeit, Sprung hat nicht ganz geklappt? Macht nichts). Also - geht doch.
So - und nun rudern wir mal wieder ganz weit zurueck. Ich hatte eben doch genug zu trinken mit (oder doch nicht?). Und eigentlich soll man ja auch nicht luegen auf dem Camino. Aber die Phantasie treibt schon so manche Blueten und spriesst. Das soll sie auch. Und - alle Fotos habe ich auf dieser Strecke gemacht! Da kann man doch gar nicht anders, wenn einem so viel ueber den Weg laeuft, waehrend man durch die wunderschoene Einsamkeit geht, als sich so viele Geschichten durch den Kopf gehen zu lassen, dass man sie gar nicht alle behalten kann. Ein bischen habt Ihr davon gesehen und gehoert.
Aber keine Sorge - ich habe noch alle Tassen im Schrank und spirituell entflogen bin ich auch nicht. Ich halte eine gewisse Balance zwischen Realitaet und dem Wunder des Caminos und fahre ganz gut damit.
Aber jeder soll den Weg so gehen und erleben und sehen und riechen und hoeren und vor allem fuehlen, wie es ihm gut tut oder auch nicht. Und so wuensche ich allen jetzigen und zukuenftigen Pilgern: ¡Buen Camino! Guten Weg!
Wo bin ich, was ist aus mir geworden?
Viele lesen in meinem Blog und sehen sich die Bilder an, habe ich erfahren. Danke. Ich habe deshalb einige Berichte noch ergaenzt und Bilder hinzugefuegt, beim Wetterbericht zum Beispiel.
Inzwischen bin in Sahagún. Das ist irgendwo zwischen Burgos und Leon. Eigentlich schon ganz schoen weit. Die Berge sind laengst hinter mir, bis auf diesen Ausreisser, der harmlos aussieht, es aber in sich hat. Den haette ich dreimal ueberqueren muessen, um den verlorenen Ausweis wieder zu bekommen, wenn wir nicht eine andere Moeglichkeit gefunden haetten:
Es hat sich jetzt eine weite Ebene ausgebreitet, ungefaehr 900m ueber dem Meeresspiegel.
Die Wege sind eben und angenehm zu gehen (bis auf die ganzen Steine, die immer und ewig hier rumliegen werden), manchmal endlos, und ich freue mich ueber jeden Kirchturm.
Die Knochen sind heilgeblieben und die anfaenglich bedrohlich erscheinenden Auas sind fast weg. Abends spuere ich manchmal alle Muskeln, Sehnen und Knochen, morgens gehts wieder gut. Bis auf heutemorgen, ich musste die Nacht auf dem nackten Fussboden schlafen.
Das war hart. War nichts anderes da. Das Lager zwischen den (in der Nacht belegten) Matrazen war meins. Immerhin war die gefundene eine nagelneue, nirgends verzeichnete Herberge, 1 Monat alt, von irgendeiner italienischen Bruderschaft errichtet, gefuehrt von Bruno, vorher Schiffskoch.
Zuvor waren 3 andere auf dem Weg voellig ueberfuellt. Bin dann 35 km gegangen. Fast haette ich draussen geschlafen, bis Jakob kam (so habe ich ihn spaeter genannt).
Wer das war? Diese Geschichte kann jeder hoeren, der mich danach fragt ...
Dafuer habe ich heute schon mittags Schluss gemacht und eine richtig gute groessere, mehr oder weniger private Herberge gefunden, an der viele andere wie ich auch zuerst vorbei gegangen sind, weil sie zu nobel aussah,
dabei kostet sie auch nur 7€ fuers Bett. Es gibt wiegesagt keinen Standard.
Ja, da bin ich jetzt. Es geht mir gut. Nur wenige Momente gab es mit Zweifeln oder Einsamkeit oder Traurigkeit. Aber die Zeit hier auf dem Weg hinterlaesst ihre Spuren und veraendert wohl die Menschen, die ihn gehen. Manche ein bischen, langsam, kaum bemerkbar, manche ganz heftig. Der Camino ist ein Weg, der lebt. Nicht, weil die Menschen das hoffen oder alles Erlebte beschoenigen oder herbei sehnen, oder weil sie was dazu dichten - das machen manche natuerlich auch ganz schoen - nein, er ist ganz einfach da und selbst das Erlebnis. Ich bin wirklich gespannt, wie er fuer mich endet. Aber - so wird mir immer wieder versprochen, von denen, die ihn selbst schon mal gegangen sind, von den Hospitaleros und Hospitaleras, von Menschen, die hier wohnen und von Pilgern, die ihn immer wieder gehen - er hoert nie auf. Er bleibt.
Und hier sitze ich nun gerade. Mit ein bischen Phantasie koennt ihr mich auf dem linken Platz sehen ... Eine Internetgelegenheit findet sich schon mal.
Inzwischen auch haeufiger, die Pilger werden mehr. Manchmal vermisse ich die Einsamkeit der ersten Tage, in denen ich nur wenige getroffen haben. So zum Beispiel Christine aus Frankreich, die mich allerdings nie verlassen hat. Wir haben uns immer und immer wieder zufaellig getroffen.
Sie geht jetzt vielleicht aus dem genannten Grund einen anderen, einsameren Weg nach Norden ueber die Berge und am Meer entlang. Daran hab ich selbst schon vor drei Tagen gedacht, aber ich habe kein Buch mit Angaben ueber Strecke und Herbergen, die dort weit auseinander liegen. Es wird schon morgen auf meiner Strecke eine besondere Sache. Ich lese mal aus meinem Buch vor:
"Landschaftlich ist diese wenig frequentierte und einsame Variante ein ganz spezielles Erlebnis. Anfangs gleicht sie locker bewachsenen afrikanischen Steppen, auf der ausgedehnten Hochebene hinter Calzadilla de los Hermanillos sind nur noch in der Ferne Bergketten zu erkennen. Teilweise sind keine Spuren menschlicher Besiedlung mehr zu sehen. Man fuehlt sich gaenzlich allein und ab einem gewissen Punkt mag auch der Glaube fehlen, ueberhaupt noch auf eine Ortschaft zu stossen."
Diese Beschreibung ist nicht aus dem 18. Jahrhundert sondern aus 2009. Na, dann man los, also ich freu mich drauf.
So, zu Christine und all den anderen Pilgern, die ich immer wieder getroffen habe oder auch nicht, beim naechsten Mal mehr!
Bis dahin - Geduld - und liebe Gruesse!
Das Wetter
Das Caminowetter ist elementar, universal, was man sich wuenscht, bekommt man, was man sich nicht wuenscht, auch.
Ich habe alles erlebt. Ich habe trockene Pilger gesehen und nasse. Ich selbst bin immer trocken geblieben. Die Sonne hat gebrannt, der Wind war kalt und beim siebten Wechseln der Jacken wirds nervig. Aber es hat mich nie richtig erwischt, wie diesen hier.
Ich hatte vor mir - die eiligen - und hinter mir - die troedeligen - immer durchnaesste und genervte Pilger, die es leid waren, ihre Ponchos an- und aus- und an- und auszuziehen. Ich hab immer nur meinen Schirm auf- und zugemacht. Und ich hatte beim schlimmsten Gewitter eine Scheune direkt vor mir, wie aus dem Nichts war sie einfach da. Mit Heu und - 3 Stuehlen. Ich zeigs Euch:
Und wenn es sonst mal so anfing, zu regnen, gab es fuer mich immer einen Unterstand.
Und hier noch ein bischen Wetter, sucht einfach eins aus und begleitet mich ein wenig, wenn ihr einen Tag mit mir verbringen wollt, nehmt mehrere, es wechselt manchmal schnell:
Fortsetzung Geburtstag
Die Erlebnisse zuvor waren zu schoen, ich wollte danach mal fuer mich sein und den Geburtstag habe ich auch verschwiegen. Den habe ich dann 2km weiter mehr oder weniger mit mir selbst gefeiert.
Und das hier habe ich mir geleistet:
Der Camino macht uebrigens seine eigenen Geschenke: Mittags habe ich meinen Ausweis verloren. Abends hatte ich ihn wieder. Lange Geschichte. Gibts nur aufm Camino.
benwisch am 31. Mai 11
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Vielen Dank
Meinen Geburtstag durfte ich auf dem Camino feiern.
Dazu habe ich viele Gruesse und Glueckwuensche bekommen.Vielen Dank dafuer!
Am Tag zuvor habe ich in einer alten Kirchenruine,
deren intakte Teile zur winzigen Herberge genutzt und erhalten werden,
uebernachtet. Ohne elektrischen Strom, nur kaltes Wasser, aber unglaublich heimlich und gemuetlich. Natuerlich abends mit Gitarrenmusik von der Hospitalera gespielt, kirchliche und weltliche Lieder. Zwischendurch ein Gewitter, Schraenke wurden verrueckt, da es durchregnete, ich musste das Bett wechseln. Wo es doll nass zu werden drohte, haben wir Schuesseln hingestellt.
Am Geburtstagmorgen (vom Geburtstag wusste niemand), sind einige wenige von uns zum naechsten Dorf gegangen und haben im (echten) Kloster um 8.00 Uhr eine Stunde lang 10 Nonnen beim Gebet, beim Schweigen und ihrem wundervollen Gesang zugehoert, durch ein Gitter getrennt. Dazu wurde nach ihrem ersten persoenlichen Gesang ein Fenster zu unserem Raum geoeffnet. Anschliessend hielt - von unserem Raum aus - ein junger schwarzer Priester die Messe mit Abendmahl. Davon habe ich natuerlich auch keine Bilder, kann man nicht machen.
Die Hospitalera rief im naechsten Ort an und versprach uns auch dort Plaetze fuer die kommende Nacht, diesmal IN einer alten kleinen Kirche. Ich bin bis dort gewandert und habe dann aber mitgeteilt, ich wuerde weitergehen. Die anderen blieben dort:
benwisch am 31. Mai 11
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Es ist an der Zeit
Heute habe ungefaehr die Haelfte des Weges und auch die Haelfte meiner Zeit dafuer hinter oder vor mir, wie man will. Der Camino und die Menschen, denen ich begegnete, haben mir etwas gegeben und die Herzlichkeit und Hilfe, die mir widerfahren ist, werde ich nie vergessen. Ich habe ihnen und dem Weg, so wie es mir moeglich war, auch etwas gegeben und ich habe schon jetzt eine Spur hinterlassen. Und jetzt ist es die Zeit, eine mir wichtige Sache tun.
Alle Menschen, denen ich irgendwann mit Worten, Taten, Gesten oder durch andere Dinge, vielleicht aus Unachtsamkeit, vielleicht aus Uebermut, vielleicht aus Eigennutz, vielleicht aus Eitelkeit, vielleicht aus Zorn, vielleicht auch aus Verzweiflung oder aus anderen Beweggruenden heraus wehgetan, sie verletzt oder sehr traurig gemacht habe, bitte um Verzeihung und Vergebung.
Denn dahinter ist das Licht ...
benwisch am 31. Mai 11
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