Montag, 6. Juni 2011
Was passierte zwischen Calzadilla de los Hermanillos und Reliegos?
Die lange einsame Strecke erschien anfangs harmlos, danach interessant und dann spannend. Sie war tatsaechlich ganz schoen lang. Ausserdem stach die Sonne im Laufe der Zeit, man muss aufpassen, dass man klar bleibt. Aber so langweilig, wie im Buch beschrieben, war sie wahrlich nicht. Ganz im Gegenteil: Es geschah einiges. Oder besser gesagt, ich habe viel gesehen, an dem wohl die anderen Pilger ausnahmslos vorbei gingen. Ich erzaehle es Euch nun. Also: Dieser Abschnitt hat es in sich, man muss nur ganz genau hinsehen, und es tun sich Dinge auf ... ich sage Euch!

Ja, mit dem Wasser muss man haushalten. Sonst kriegt man Panik und die Hinweise auf der Strasse sind auch keine Garantie ...



und dann hat man kein Wasser mehr ... und dann brennt die Sonne ... und dann ...
dann traeumt man womoeglich von Wasserstellen



oder von solchen Brunnen ...



oder von verdursteten Frauen am Wegesrand ...



... aber ich habe immer genug Wasser bei mir und sowas passiert mir nicht so schnell ... oder? Oh meine Flaschen sind leer ... das ist jetzt nicht so witzig, aber so weit ist es ja nicht mehr zur naechsten Herberge.

Und schon erlebe ich schoene Sachen. Da sind zum Beispiel auf dieser Strecke, und sie leben nur hier, die Riesenmaulwuerfe (lupidio subcalzadillos grande, Riesenmaulwurf, der unter der Strasse lebt, oder so), deren Huegel ich neben dem Weg sehe. Sie koennen bis zu 115cm (!) hoch werden und sind eng hintereinander aufgereiht, dann sind wieder gar keine ueber 100m zu sehen und dann wieder ganz viele, wie hier.



Auf einem der Huegel habe ich zufaellig einen kleinen



Vogel erwischt, den lupidicanario grande, (ungefaehr uebersetzt: Der Riesenmaulwurfkanario oder so) der eine eigenartige Lebensgemeinschaft mit den Maulwuerfen eingegangen ist. Er frisst genau und nur die Wuermer aus den Huegeln heraus, die die Maulwuerfe nicht vertragen, und er selbst lebt davon nicht schlecht.

Aber diese Maulwuerfe haben eine schlechte Angewohnheit (deswegen heissen sie ja auch so), sie leben ausschliesslich unter Wegen und auch Strassen. So sieht das dann aus, man sieht hier ganze Horden von ihnen unter der Oberflaeche.



Sie unterhoehlen sie regelrecht, und so sind denn auch grosse Schaeden entstanden mit Einbruechen und schlimmen Unfaellen. Deshalb hat man, um die Tiere zu erhalten, eine Aktion mit Europamitteln gestartet und ein Reservat geschaffen, wie hier zu sehen, an dem ich gerade vorbei gekommen bin. Dort versucht man, die Tiere unterzubringen.



Aber sie nehmen das Gebiet nicht an, sie gehen immer wieder unter die Strassen und Wege daneben. Deshalb hat man sich zu einem weiteren Projekt entschlossen. Man hat ihnen artgerechte Gaenge, Hoehlen und eigene Eingaenge geschaffen, fuer jede Maulwurfsfamilie einen eigenen.



Die Tiere haben das zunaechst auch angenommen, dann aber in wenigen Wochen verwohnt und schnell wieder verlassen. So ist ihre Zukunft ungewiss und sozusagen im Dunkeln.

Ja, das sind so Erlebnisse in der heissesten Etappe. Aber irgendwie fuehl ich mich nicht mehr so wohl, verschwimmt die Realitaet?¿? Die Gegend wird immer unheimlicher. Die Strasse gefaellt mir nicht mehr.





Die Steine nehmen ueberhand. Ich beschliesse, mit der Bahn weiter zu fahren. Zumal in der Ferne die beruehmte Bahnbruecke von, von, ... ich glaub von San Fernando zu sehen ist.



Ich wuensche mir einen Bahnsteig mit Bahnhof, und schon ist beides vor mir.



Man kann hier zwar keine Fahrkarten kaufen, aber ich werde einfach einsteigen. Oder aufspringen. Ich brauche nur noch zu warten.




Ich warte.



Und warte.





Und warte. Es wurden schliesslich 36 Jahre. Alle Vorraete waren verbraucht. Ich hatte wieder angefangen zu rauchen und drehe mir gerade eine auf dem Foto. Aber es kommt kein Zug. Nix.



Meine Schuhe sind inzwischen kaputt und der Bahnhof ist auch zerfallen.



Aber da kommt EIN ZUG. Ich muss jetzt schnell sein.



War ich auch, ich musste aufspringen, weil er durchfuhr. Es war ein Geisterzug! Und woher sollte ich wissen, dass die links fahren! Mit dem Aufspringen hat auch nicht geklappt.

Vorbei, im Sinne des Wortes. Ich muss zusehen, dass ich jetzt irgendwie anders weiterkomme. Ich reiss mich zusammen, springe durch die Lichtwand - * - # |



bin ploetzlich wieder auf dem normalen Weg



und komme wie geplant im naechsten Ort an und -



sehe wieder Menschen (nur aus der falschen Zeit, Sprung hat nicht ganz geklappt? Macht nichts). Also - geht doch.


So - und nun rudern wir mal wieder ganz weit zurueck. Ich hatte eben doch genug zu trinken mit (oder doch nicht?). Und eigentlich soll man ja auch nicht luegen auf dem Camino. Aber die Phantasie treibt schon so manche Blueten und spriesst. Das soll sie auch. Und - alle Fotos habe ich auf dieser Strecke gemacht! Da kann man doch gar nicht anders, wenn einem so viel ueber den Weg laeuft, waehrend man durch die wunderschoene Einsamkeit geht, als sich so viele Geschichten durch den Kopf gehen zu lassen, dass man sie gar nicht alle behalten kann. Ein bischen habt Ihr davon gesehen und gehoert.

Aber keine Sorge - ich habe noch alle Tassen im Schrank und spirituell entflogen bin ich auch nicht. Ich halte eine gewisse Balance zwischen Realitaet und dem Wunder des Caminos und fahre ganz gut damit.

Aber jeder soll den Weg so gehen und erleben und sehen und riechen und hoeren und vor allem fuehlen, wie es ihm gut tut oder auch nicht. Und so wuensche ich allen jetzigen und zukuenftigen Pilgern: ¡Buen Camino! Guten Weg!